Sie wollen eine Union-AfD-Mehrheitsperspektive öffnen

„Dass wir mit der Enthaltung der Regierung die Mehrheitsverhältnisse sichern, ist eigentlich völliger Wahnsinn“, sagt Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner gegenüber der Frankfurter Rundschau. Rettet Die Linke die Merz-Regierung? Man kann beim Umgang der schwarz-roten Regierung mit dem Rentengesetz natürlich „handwerkliche Fehler“ sehen. Fehler lassen sich freilich in einer funktionierenden Regierung korrigieren, es sei denn, diese Fehler sind in gewisser Weise „zwangsläufig“. Warum funktioniert die Regierung immer wieder ganz offensichtlich nicht wirklich, was ist da los?
Für die Abstimmung im Parlament ist die Sachlage klar: Für das Gesetz braucht es nur mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen, also die einfache Mehrheit. Deshalb hilft eine Enthaltung der Linkspartei der Union aus der Bredouille.Denn unter dieser Voraussetzung wird Schwarz-Rot auch bei mehr als zwölf Abweichlern aus den eigenen Reihen eine Mehrheit bekommen. Aber warum macht sich die Regierung von der Linkspartei abhängig?

Aus meiner Sicht ist auch der Streit um das Rentengesetz – nach der Richterwahl – nur ein weiteres Projekt von Teilen der Union und sehr rechter Kreise. Sie wollen eine Union-AfD-Mehrheitsperspektive öffnen, um den Bundeskanzler und die schwarz-rote Koalition zu zermürben. Für diesen Zweck hat sich die „Junge Gruppe“ instrumentalisieren und sich in eine unter inhaltlichen Gesichtspunkten absurde Machtprobe treiben lassen.
Solche Instrumentalisierungen wie bei der Richterwahl und dem Rentenpaket wird es innerhalb der Union so lange geben, wie die Union den Umgang mit der AfD nicht wirklich geklärt hat. So lange wird die Regierungsfähigkeit der Union massiv eingeschränkt sein. Um ihr Verhältnis zur AfD politikfähig zu machen, sollte die Union daher dem AfD-Verbotsverfahren nicht länger im Weg stehen. Die AfD lässt es zu, dass in und von ihrer Anhängerschaft die unantastbare Würde des Menschen missachtet wird. Sie gibt immer wieder zu erkennen, wie wenig ihr Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie gelten. Ein Verbotsverfahren ist die angemessene und wichtige Reaktion darauf. Wenn ein solches Verfahren läuft, dürften auch alle Öffnungsabsichten in Richtung AfD ihre destablisierende, destruktive Kraft verlieren.

Schludert die Schweiz bei ihren Atomkraftwerken?

Beznau, das älteste AKW der Erde, steht mit seinen beiden Methusalem-Blöcken zehn Kilometer hinter der deutschen Grenze auf einer Insel im Rheinzufluss Aare. (Foto, 2003: Roland Zumbühl auf wikimedia commons)

Ist Deutschland atomar gefährdet? Wer so fragt, erhält oft Antworten der Erleichterung: Nein, denn es seien doch fünf der sieben belgischen Reaktoren in Doel und Tihange geschlossen worden, das AKW Fessenheim in Frankreich ja auch. Andere erinnern an die einstigen angeblich so sicheren deutschen Reaktoren — was von tiefer Unkenntnis über deren zuletzt gegebenen technischen Zustand zeugt. Manche verweisen allerdings auf das von Russland besetzte ukrainische AKW Saporischschja, das — trotz der Entfernung von 2000 Kilometern — wegen der immer wieder unterbrochenen externen Stromversorgung eine echte nukleare Sicherheits-Bedrohung ist. Jedoch: Welche Gefahren für ganz Deutschland an der Grenze zur Schweiz lauern, in Form von schweizerischen AKW‘ s, das hat kaum jemand auf dem Zettel.

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Sargnägel für die UN-Charta

Seit Anfang September hat die US-Luftwaffe auf Anordnung von Präsident Trump bei bislang bekannt gewordenen 21 Angriffen auf Boote in der Karibik und im Ostpazifik mindestens 83 Menschen ermordet, weil diese Boote angeblich Drogen aus Venezuela transportierten und damit die „ nationale Sicherheit der USA gefährdeten“. Für die behaupteten Drogentransporte legte die Trump-Administration bis heute keinen einzigen Beweis vor. Doch selbst mit derartigen Beweisen wären diese Luftangriffe ein Kriegsverbrechen und ein schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht.

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Social Media als Ordnungsstörer und Gamechanger

Bild: Pixaline auf Pixabay

Die Frage, ob, wo und wie lange Kinder und Jugendliche Social Media nutzen dürfen, machte jüngst medial Furore. Die Antworten kennen wir schon: Es bedarf individueller Maßnahmen: Sensibilisierung, Medienkompetenzförderung. Der Umgang mit kollektiven Risiken, so der Impact von Social Media auf das politische Institutionensystem, ist hingegen schwieriger: Wann und woran erkennt man diese Risiken? Und was müsste dann wer tun? Social Media haben Impact auf die Sicherheit und Stabilität des gesellschaftlichen Vermittlungssystems, auf die Zuverlässigkeit und Qualität der Inhalte der öffentlichen Kommunikation, auf die Herstellung von Öffentlichkeit und Öffentlicher Meinung. Sie wirken als Medien, gewinnen dadurch Einfluss auf die Orientierung der Gesellschaft und auf die Legitimität des politischen Institutionensystems.

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Auch Unkenntnis speist die Kritik am Sozialstaat

Screenshot: Website Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Der Beitrag in den BruchstückenEin Sozialstaat, der trägt“, genannt Aufruf („Wir bauen den Staat von morgen“) hat in mir einen Verdacht wachsen lassen. Und zwar den Verdacht, dass die Kenntnisse der Funktionsweise, des Sinns und der Möglichkeiten des Sozialstaats, gemessen an früheren Zeiten (die der kenntnisreichen Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie der ehrenamtlichen Sozialberater, der Versichertenältesten etc.), gravierend kleiner geworden sind. Ich kann in diesem Zusammenhang die Tatsache anführen, dass die Gruppen der geflüchteten Menschen und der Arbeitslosen von der sogenannten „Öffentlichkeit“ als besonders unfair bevorzugt bewertet werden, obgleich sie mit Blick auf die gesamten Sozialstaatsausgaben keine herausragende Bedeutung haben. Das meine ich jedoch nicht.

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Was hilft gegen Aussichtslosigkeit?

Es hätte sicher nicht erst noch der COP30 in Belém bedurft, in die Nähe schierer Verzweiflung zu geraten: Wenn doch einerseits alles bekannt ist, das man wissen muss, und andererseits die Verhältnisse derart beschaffen sind, dass trotzdem nicht die nötigen Schritte unternommen werden – bleiben da nicht nur Aussichtslosigkeit, Niedergeschlagenheit? Selbst wenn man sich das vernünftigerweise zurechtrücken möchte, weil man ja ebenso weiß, dass Fatalismus nicht hilft, dass die nicht ausreichenden Schritte immerhin Schritte sind, dass »jedes Zehntel Grad wichtig ist«, dass sich »der Markt doch längst entschieden« hat, dass sogar auf dem östlichen Land überall Wärmepumpen und Solaranlagen aus dem Boden schießen, dass die Mehrheiten für eine andere Klimapolitik zwar skeptischer werden, was die Umsetzung angeht, aber immer noch Mehrheiten sind – dann bleibt doch das Gefühl, nicht recht zu wissen, wie man mit dem offenbar unauflösbaren Widerspruch umgehen soll, der »Wirkliches und Mögliches« trennt. 

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Lob der Renitenz

Illustration im Frankfurter Struwwelpeter Museum (Foto: Daderot auf wikimedia commons)

Stillschweigend nicht mitmachen, selbst dieser weiche Widerstand fällt nicht immer leicht. Machthaber, die „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ praktizieren, sehen darin eine strafwürdige Verweigerung. Den Mund aufmachen und Nein sagen, gilt als der Anfang von Freiheit. Eine eigene Entscheidung zu treffen, die den Erwartungen der Familie, des Arbeitgebers, des sozialen Umfeldes widerspricht, macht sichtbar und angreifbar. Diese mutige Freiheit ist nicht zu vergleichen mit der bequemen Konsumfreiheit, die der Markt mit seiner Werbung für die permanente freie Auswahl vorgaukelt. Hier geht es um Zahlungsfähigkeit, dort um Zivilcourage. Matthias Meisner und Paul Starzmann haben ein hohes Lied auf Zivilcourage in Buchform publiziert: „Mut zum Unmut. Eine Anleitung zur politischen Widerspenstigkeit“.

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Mit Religionskritik fängt die kritische Gesellschaftstheorie an…

„Es soll sich zeigen, dass es Metaphysik und gar Theologie braucht, um kritische Gesellschaftstheorie zu begründen.“ (Foto: © sira)

An der Religionskritik hat sich die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft einmal ein Vorbild genommen. Was dem religiösen Bewusstsein als Gott erscheint, dechiffrierte sie als Entäußerung der menschlichen Gattungskräfte; und als eine ebensolche Entäußerung galt ihr das zwischen Waren- und Geldform prozessierende Kapital. Die unaufgeklärte Menschheit als Fetischdiener: Aus Feuerbachs Lehre geht die Marxsche Entschlüsselung der in der Warengesellschaft geltenden Kategorien hervor. „Akkumuliert, Akkumuliert!“, lautet der zentrale Glaubensartikel der neuen Religion. „Das ist Moses und die Propheten!“(1) Dieser Glaubensartikel hat die menschliche Gattung in einen bald ausweglos erscheinenden Strudel gerissen. Denn dem Akkumulationsprinzip ist keine Schranke gesetzt; Maßlosigkeit ist sein Wesen. Es ist der Raubbau an der Natur, der wachsenden Teilen der Menschheit die Mittel ihrer Subsistenz entzieht und sie in der Migration ihr Heil suchen lässt.

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Transformation in Trouble II: Wachstumskritiker – ratlos?

„Grünes Wachstum“ – nur eine Illusion? Wachstumskritiker wie Jason Hickel sind davon überzeugt1. Die Annahme eines mit wachsendem Wohlstand allmählich rückläufigen Natur- und Energieverbrauchs pro Werteinheit der Wirtschaft sei falsch. Alle vorliegenden Daten widerlegten die mit der „ökologischen Kuznetskurve“2 ausgedrückte Idee einer Entkopplung von Wachstum und Umweltverbrauch und damit der Basisannahme des Modells eines „grünen Wachstums“. Trotz gestiegener Sensibilität für ökologische Themen, trotz eines gewachsenen Bewusstseins für die Gefahren des Klimawandels betreibe die Menschheit ungebrochen einen enormen und immer noch wachsenden Raubbau an ihren Lebensgrundlagen.

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Alte Geschichten über das neue Berlin

Als rasender Reporter schreibt Egon Erwin Kisch Geschichten unter anderem über Polizeistreifen in Berlin und über Boxer im Radio. Er schreibt über Verarmung und Bereicherung in den Berliner Straßen und er erzählt von Weihnachtsfreuden und Christbaumschmuck im Kaufhaus. Er referiert über die Kaufkraft eines Groschen und über mögliche Veränderungen an einer Nase. Über 30 dieser Geschichten, entstanden in den Jahren 1921 bis 1933, sind für diesen Band ausgewählt worden. Unter dem Titel „Berliner Bohème“ wurde er in der Reihe „Berliner Orte – Klassiker“ von Gabi Wuttke herausgegeben. Deren berufliche Laufbahn mit Stationen beim ehemaligen Sender Freies Berlin (SFB) und jahrelanger Beschäftigung mit der Berliner Kulturszene qualifiziert sie gewissermaßen als eine Nachfolgerin des rasenden Berlin-Reporters.

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„Es gilt, eine lange nationalistische, militärische und rassistische Tradition zu überwinden“

Der junge Korrespondent des norwegischen Arbeiterbladet hatte eine klare Erwartung, als er am 20. November 1945 den Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes betrat. Er hielt es für richtig und notwendig, dass ein internationaler Militärgerichtshof die Verbrechen der Deutschen während der „Hitlerei“ aufklärte. Die 21 Hauptangeklagten und Kriegsverbrecher auf der Anklagebank sollten bestraft, die unvorstellbaren Verbrechen der Nazis und ihrer Mitläufer mussten gnadenlos aufgedeckt werden. Aber für den Korrespondenten in norwegischer Offiziersuniform durfte es nicht sein, dass das ganze deutsche Volk schuldig gesprochen werde. Er ahnte zwar, dass es allzu viele Deutsche gab, die die Verbrecher auf der Anklagebank nicht für den Beginn des Krieges verurteilten, sondern eher, weil sie ihn verloren hatten. Dennoch war er erleichtert, dass der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson in seiner Prozesseröffnung die weitverbreitete These von der Kollektivschuld der Deutschen verwarf.

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Gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union

Foto: Leonhard Lenz auf wikimedia commons

Das Handeln der Unionsparteien ist, seit Friedrich Merz die Union führt, wesentlich von der AfD und deren Wahlerfolgen bestimmt. Dem zugrunde liegt die CDU-eigene Analyse, dass den Unionsparteien „rechts“ etwas fehle und dies der Grund für das Erstarken der AfD sei. In der falschen Willkommenskultur und Asylpolitik von Angela Merkel sah Merz den Hauptgrund für das Scheitern der Unionsparteien bei der Bundestagswahl 2021; auch die mangelnde Geschlossenheit der Unionspartien im Bundestagswahlkampf 2021 führte er darauf zurück. Seither hat er die Abwehr gegen die AfD, neben der Durchsetzung einer neoliberalen Agenda, zum Hauptinhalt seiner Programmatik und Politik gemacht. Aber gleichzeitig laufen gefährliche Gedankenspiele, nicht nur in der FAZ, auch in der Union.

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Geld macht mächtig

Bild: johnhain auf pixabay

Oligarchie wird in der Politikwissenschaft definiert als die Herrschaft einer kleinen Gruppe, die den Staat meist indirekt zu ihrem eigenen Vorteil lenkt. Der Begriff schien lange für die Besitzer von Unternehmen in postsozialistischen Staaten wie Russland reserviert. Julian Heißler, US-Korrespondent unter anderem für die Wirtschaftswoche, etikettiert so jetzt die amerikanische Tech-Elite, also Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos. In Anlehnung an die Soziologin Brooke Harringten spricht er von einer neuen “Broligarchie” in den Vereinigten Staaten. In seinem Buch beschreibt er die Finanzierung der republikanischen Kandidaten Donald Trump und J.D. Vance durch interessengeleitete und zahlungskräftige Geldgeber.

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COP30-Konferenz an der Konfliktachse solar versus fossil

Screenshot: „Klimafaktenpapier

Im brasilianischen Belém läuft die COP30 und Jasper von Altenbockum verkündet in der FAZ, „besser die Folgen des Klimawandels mit Realismus bekämpfen als die Ursachen mit Utopismus„. Sein Versuch, klimapolitischen Revisionismus zum eigentlichen Pragmatismus zu adeln – „es ist der Gegensatz zwischen einer Politik, die gesinnungsethisch gegen eine Wand rennt, und einer Politik, die durchsetzen will, was real möglich ist“ – wird von den drei Hauptpfeilern der Rechtfertigung des Falschen getragen: Herabwürdigung vernünftiger Veränderungsmotive zur heute eh schlecht angesehenen Moralangelegenheit; Naturalisierung gesellschaftlich gemachter, also eigentlich veränderbarer Gegebenheiten zur angeblich unverrückbaren Wand; Verteidigung eines anachronistisch gewordenen Pragmatismus-Radikalismus-Verständnisses, das sich vor der Biophysik längst blamiert hat: Was als Realpolitik heute noch gelten will, müsste zu einem Radikalismus bereit sein, den im Grunde derzeit alle scheuen. Womit der verletzliche Punkt der hier formulierten Kritik an Altenbockum markiert wäre: Haben denn die Gutwilligsten einen belastbaren Plan, das durchzusetzen, was klimapolitisch wirklich nötig wäre?

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Verteidigungsfähig, kriegstüchtig, wehrpflichtig – was wollen wir eigentlich?

Plakat zur Bundestagswahl am 6. September 1953
(Archiv für Christlich-Demokratische Politik auf wikimedia commons)

Dem aktuellen Kompromiss der Regierungskoalition, wie ein künftiger Wehrdienst in Deutschland aussehen kann, gingen monatelange koalitions- und parteiinterne Diskussionen voraus – und die Debatte ist mit der Einigung der Fraktionsspitzen sicher nicht beendet. Im Gegenteil, sie geht vermutlich jetzt erst richtig los. Es bleibt zu hoffen, dass sich nicht nur die „politischen Lautsprecher:innen“, sondern auch die unmittelbar betroffenen jungen Menschen in diese Diskussion einbringen. Die demokratischen politischen Parteien täten gut daran, nicht zuletzt auch im eigenen Interesse, dafür geeignete Formate zu entwickeln.
 

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