Das klerikale Kartell oder: Herr Steinmeier und der Garten Eden

Lucas Cranach the Elder  (1472–1553): Paradies auf wikimedia commons

Die Trennung von Staat und Kirche steht in unserer Verfassung. Doch es gibt zahlreiche Sonderrechte und Subventionen, die unser Staat den Kirchen gewährt. Beispielsweise die massive staatliche Förderung religiöser Groß-Events wie des derzeit stattfindenden Evangelischen Kirchentags in Nürnberg. Höchste Zeit, den staatlichen Gottes-Lobbyismus und fragwürdige klerikale Polit-Allianzen zu beenden. Lassen wir gleich zu Beginn mal unseren Bundespräsidenten zu Wort kommen. Bei seiner Eröffnungsrede zur Bundesgartenschau im April 2023 in Mannheim hat er die Zuhörerschaft daran erinnert, dass einst im Garten Eden alles seinen Anfang nahm. Denn: „Wenn wir der Bibel folgen, dann wurde der Mensch geschaffen, dann wurden die Menschen in die schönen Gärten gesetzt, die Gott persönlich, wie es heißt, im Garten Eden angelegt hatte«, festredete er in schönster Schöpfungs-Prosa. „Der Mensch sollte den Garten bearbeiten und hüten”, denn – und hier wagte der weise Präsident mit schneeweißem Haupt-Haar eine originelle ethnologische Pointe – „Wenn Sie so wollen, wurde der Mensch vor aller Zeiten Anfang eigentlich als Gärtner geschaffen.”

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Adele gegen den Rest der Welt

Adèle Haenel bei der César-Zeremonie 2015. Der César ehrt die besten Produktionen und Künstler des französischen Films (Foto: Georges Biard auf wikimedia commons)

Am 14./15. Mai 2023 hat Le Monde Adèle Haenels pünktlich zum Filmfestival in Cannes geäußertem Protest gegen Unsitten und Übergriffe im filmproduzierenden Milieu eine ganze Seite sowie ein Foto gewidmet, das in allen Details, vor allem aber im Blick der Hauptperson, der einen nicht loslässt, den Sprung von der Missbilligung in die Ablehnung, von der Ablehnung in die Verweigerung, vom standhaften Nein in das Ja zu einer irgend noch zu schaffenden gesellschaftlichen Alternative ausdrückt. «Cette fois, elle part pour de bon. Le cinéma, c’est fini.« Mit dem Kino ist es vorbei. Was wird sie jetzt machen?

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Affäre definitiv liquidiert

Maurice Bavaud (Foto: wikimedia commons)

Der junge Schweizer Maurice Bavaud wollte Hitler töten. Sein Attentat misslang. Am 14. Mai 1941 wird er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In der Galerie der Widerstandskämpfer bleibt er unbekannt. Er eignet sich nicht für die Rolle des verklärten Helden. Wir sollten uns an ihn erinnern – und an dessen „Erinnerer“: Niklaus Meienberg.
Im Oktober 1938 kauft der junge Schweizer Seminarist, Maurice Bavaud, eine Pistole und reist nach Deutschland. Er ist 22 Jahre alt und hat sich vorgenommen, Adolf Hitler am 9. November 1938 beim Hitlerputsch-Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle zu erschießen.

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Den radikalen Methoden fehlt das radikale Programm

Kathrin Gerlof: Herr Peukert, Sie sind Wirtschafts- und Staatswissenschaftler, haben an der Universität Siegen gelehrt und sich mit Wirtschaftsgeschichte und post-autistischer Ökonomie befasst. Jetzt unterbreiten Sie einen wirklich sehr radikalen Vorschlag an die »Letzte Generation«. Es gebe, sagen Sie, eine Lücke zwischen der Radikalität der Methoden und der »Sanftheit« der von der LG an die Politik gestellten Forderungen. Das finden Sie nicht gut?

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Die Legitimität der auf Privateigentum gegründeten Verfügungsgewalt schwindet

Axel Honneth (Foto: Institució Alfons el Magnànim auf wikimedia commons)

Theorien der Gesellschaft, die diese unter dem Aspekt ihrer Veränderbarkeit analysieren und potentiellen Kräften der Veränderung nachspüren, sind rar, aber es gibt sie. Der frühere Direktor des Instituts für Sozialforschung, Axel Honneth, weiß sich einer solchen Theorie verpflichtet. Er hat eine ‚normative Theorie der Arbeit‘ vorgelegt, und man geht wohl nicht fehl, dieses Buch in die Reihe der jüngeren Arbeiten dieses Autors zu stellen, die sich der Idee der Anerkennung und der eines zeitgemäßen Sozialismus widmen. Seine Bücher haben den Vorteil, dem Leser die als Analyse getarnte Agitationsliteratur zu ersparen, mit der man es heutzutage zum Suhrkamp-Autor bringen kann. (Honneths Hausverlag setzt vermutlich auf Quersubventionierung, und Bücher über den ‚kannibalischen Kapitalismus‘ finanzieren solche seriöse).

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“Wehrt euch, ihr seid im Recht”

Ernest Kaltenegger (Foto: Pit Wuhrer)

Bei der Gemeinderatswahl 2021 in Graz gewann die KPÖ 29 Prozent der Stimmen und stellt seither als stärkste Fraktion auch die Bürgermeisterin von Österreichs zweitgrößter Stadt. Bei der Wahl für den Salzburger Landtag im April 2023 erreicht die KPÖ in der Festspielstadt sagenhafte 22 Prozent. Seemoz, das Online-Magazin am Bodensee, publizierte unter dem Titel „Druck von außen kann etwas bewirken“ ein Gespräch mit Ernest Kaltenegger (geb. 1949), einem Urgestein der steirischen KPÖ, über die Hintergründe des Erfolgs. Das Interview führte Ralph-Raymond Braun. Bruchstücke dankt für die Übernahmemöglichkeit.

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Ein neues Nachdenken, auch neue Gedanken?

Es bahnt sich eine erstaunliche Wiederentdeckung an: Jahrzehntelang machten sich Soziologen und Philosophen Zukunftsgedanken über das Verschwinden der (bezahlten) Arbeit und der Berufe. Und jetzt, nach drei Jahren der Pandemie, dem Mangel an Fachkräften in der Erziehung, der Bildung oder der Pflege und der alles beherrschenden Frage, wie die Industrieländer in Europa einen klimarettenden Wandel auf demokratische und soziale Weise schaffen, erhalten Anspruch und Wirklichkeit der Arbeit neue Aufmerksamkeit: Vor allem in Frankreich und Deutschland.

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Sag mir, wo die Alten sind

Klar kennen Sie diese Anfeindungen: Die Alten fressen uns auf. Die Alten leben auf unsere Kosten. Für uns Junge bleibt nichts übrig. Die Alten gegen die Jungen. Stets geht es um das heutige, ach so gute Leben der Alten und erbärmliche Zukunfts-Aussichten der Jüngeren und Jungen. Seit Jahren geht das so. Die Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnete gar 2018 Wolfgang Gründingers Buch: “Alte Säcke Politik. Wie wir unsere Zukunft verspielen“ als Buch des Jahres aus. Keine Lösung für solche Anfeindungen und Kontroversen in Sicht.

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Völkisch-nationalistisches Denken hinter Kremlmauern

Der Historiker Timothy Garton Ash berichtet in seinem neuesten Buch „Homelands“ von einer Begegnung im Jahr 1994 mit einem Mann, „short, thick-set, with an unpleasant, vaguely rat-like face“, der sich über die Unabhängigkeit früherer europäischer Sowjetrepubliken erregte, die doch alle nach wie vor zu Russland gehörten. Ort der Begegnung: Sankt Petersburg. Der Gesprächspartner: ein gewisser Wladimir Putin, seines Zeichens Assistent des Bürgermeisters der Stadt. Michel Eltchaninoff, Chefredakteur des in Frankreich erscheinenden „Philosophie Magazins“, hatte sich nach dem Einmarsch Russlands auf der Krim 2014 darangemacht, die ideologischen Grundlagen Putins zu untersuchen. 2015, in deutscher Ausgabe 2016, hatte er die Ergebnisse unter dem Titel „In Putins Kopf“ veröffentlicht. Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 ist dieser Band nun aktualisiert neu aufgelegt worden.

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Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht

Konflikte, zumal Großkonflikte, Kriege sowieso, haben eine innere Dynamik der Eskalation. Gegenstimmen werden als Handlangerdienste für den Gegner gebrandmarkt, unabhängiges Denken gerät zum Verrat an der eigenen Sache. Bruchstücke publizierte wiederholt divergierende Sichtweisen auf den russischen Krieg gegen die Ukraine. Mit zwei direkt aufeinander folgenden Beiträgen [“Völkisch -nationalistisches Denken hinter Kremlmauern” schließt sich an] setzen wir diese Perspektivenpluralität fort, beginnend mit dem Interview, das Thomas Gesterkamp für der Freitag mit der Historikerin Sandra Kostner führte. Sie wendet sich gegen den Rückfall in das alte Muster der Blockkonfrontation, Gut gegen Böse. Wir danken der Freitag für die Erlaubnis, das Interview zu übernehmen.

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Die Verdrängungsgesellschaft in moralischer Panik

Screenshot: Twitter

Inzwischen gefallen sich auch Sozialdemokraten darin, die »Letzte Generation« als »kriminelle Vereinigung« zu bezeichnen. Über die gefährlichen Folgen einer gewissenlosen Debatte, die vom schlechten Gewissen getrieben ist und den »starken Staat« als wahren Schwächling zeigt.
»Die moral panic um die Aktionen der ›Letzten Generation‹ hat zumindest vorübergehend selbstverstärkende Tendenzen«, hat Nils C. Kumkar vor einem halben Jahr hellsichtig analysiert, »weil der Nachrichtenwert der Aktionen, der sich zu Beginn aus dem Neuigkeitswert der Aktionsformen speiste, zunehmend aus der politischen Verurteilung der Proteste bezogen wird, was dann wiederum auf eine vermeintliche Radikalisierung(sgefahr) der Proteste zurückgerechnet wird.«

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Ohne Bilanzkosmetik wären viele Banken bankrott

Foto: ty-yang auf Pixabay

Innerhalb von zwei Monaten sind in den USA vier Banken zusammengebrochen. Unter dem Titel „Spekulanten haben die CS [Credit Suisse] erledigt – Jetzt kommen US-Banken dran publizierte die Schweizer Internet-Zeitung Infosperber Auszüge aus einem Gespräch zwischen Michael Hudson, Wirtschaftsprofessor an der University of Missouri–Kansas City, und dem Journalisten Ben Norton, Gründer und Herausgeber des Geopolitical Economy ReportBeide argumentieren, ohne Bilanzkosmetik wären viele Banken bankrott. Die Banken würden sich auf eine unwissende Öffentlichkeit und – sofern sie groß genug seien, um als systemrelevant zu gelten – auf die Politik verlassen. Bruchstücke übernimmt leicht gekürzt.

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Eine traurige Markeninszenierung

6. Mai 2023 (Foto: Kathie Chan auf wikimedia commons)

War was? Armer King Charles: Sichtbar unangenehm drückt die Last der zwei Kilogramm schweren Krone (oder präziser: four pounds) auf sein Haupt. Die Krönungsfeierlichkeiten erzeugen keine Aufbruchsstimmung, sondern sie umweht eine melancholische Atmosphäre. Der ganze Pomp der marschierenden Garden und goldenen Kutschen erstrahlt und beeindruckt, aber erscheint zugleich doch aus der Zeit gefallen. Die republikanischen Proteste sind so laut wie nie („not my king“).
Welches Schauspiel zeigte sich hier der gebannten Welt von hunderten Millionen TV-Zuschauern? Es ist – aus meiner Sicht als Gesellschaftsforscher mit Marketinghintergrund – eine traurige Markeninszenierung, die in eine Vielzahl kommunikativer Dilemmata verstrickt ist.

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Mene, mene, tekel u-parsin

Bild von Jennifer auf Pixabay

Im Programmheft für original deutsche Stücke steht gegenwärtig an erster Stelle die Trauzeugen-Aufführung. In Köln läuft die Trauzeugengeschichte mit dem Untertitel: „Echte Fründe ston zesamme, ston zesamme su wie eine Jott un Pott.“ Den ersten Teil der Zeilen (einem Lied der Mundart-Band „de Höhner“ entnommen), muss man nicht übersetzen; es ist ratsam die zweite einzudeutschen: Sie stehen zusammen, wie sie zu einem Gott beten und gemeinsam aus einem Napf, einer Schüssel (“Pott“) essen. Die beigefügte Theaternotiz lautet: Komödie mit ernstem Anstrich und ungewissem Ausgang in mehreren Akten. Das Publikum ist begeistert. Ein wenig Hintergrund zur Trauzeugengeschichte und dem „ston zesamme“ ist freilich in jedem Fall hilfreich.

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Ein Buch, das seine Chancen verspielt

Religionskritik erfordert keinen Bürgermut vor Bischofssitz und Fürstenthron mehr. Der von der Präambel des Grundgesetzes bemühte Gott ist nur noch ein folkloristisches Überbleibsel, Präambel-Gott genannt. Der Atheismus, den man sich noch bis ins 19. Jahrhundert mit mühsamen Kämpfen erkaufen musste, ist längst gratis zu haben. Die Welt ist eine Republik…und erträgt weder einen absoluten noch einen konstitutionellen Gott…Mein Gott war längst nur eine Art von Präsident oder Erster Konsul, welcher nicht viel Ansehen genoss, ich musste ihn absetzen…Die Unsterblichkeit geht in den Kauf. So schrieb einmal Gottfried Keller. Das Buch “Ist Gott demokratisch?” will dem Zeitgeist gegenhalten.

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bruchstücke