Im Teufelskreis von Unterdrückung und Gewalt

Ein Bild von Benzi Brofman (Foto: Hanay auf wikimedia commons)

In Tel Aviv scheint die Sonne. Die Cafés und Restaurant sind voll. Am Strand wird Volleyball gespielt. Die ersten Menschen wagen das Bad im noch kühlen Mittelmeer. Kurz, in der Weißen Stadt – in keinem anderem Land der Welt prägt die Bauhaus-Architektur das Stadtzentrum so wie in Tel Aviv – pulsiert das Leben. Auf den ersten Blick scheint der nur 80 km entfernte Krieg fast surreal weit weg und doch ist er allgegenwärtig. Im Gespräch mit Freunden aus der Gewerkschaft zeigt sich das ganze Dilemma von Linken im heutigen Israel. Rechts und links definiert sich in Israel nicht so sehr über Wirtschafts- und Verteilungsfragen, sondern vor allem über die Haltung zu den Palästinensern. Mit einer Politik, die an Frieden mit den Palästinensern und einer auszugestaltenden Zweistaatenlösung festhält, ist zur Zeit keine Mehrheit zu gewinnen.

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Die USA, ein Doppelstaat?

Es ist ein Satz, der tiefes Erschrecken und ein ebenso tiefes Gedenken an einen großen Lehrer auslöst. „Today, we are witnessing the birth of a new dual state.“ Aziz Huq, der Jura an der Universität von Chicago lehrt, erinnert in einem kurzen, messerscharfen Essay für die Print-Ausgabe der US-Zeitschrift The Atlantic unter dem Titel „Amercia is Watching the Rise of a Dual State“ an Ernst Fraenkel und sein fundamentales Werk zur nationalsozialistischen Herrschaft: „The Dual State“ (1940), erst 1974 als „Der Doppelstaat“ in der Europäischen Verlagsanstalt auf Deutsch erschienen. „Wir sind Zeugen der Geburt eines neuen Doppelstaats“, schreibt Huq. Lange wären die USA, wenn auch nicht immer perfekt, ein Staat der Normen und demokratischen Machtteilungen (für Fraenkel war das der „Normenstaat“) gewesen. Seit seinem Amtsantritt aber setze sich Donald Trump mit seinen „executive orders“ über fundamentale Lehren des amerikanischen Verfassungswesens hinweg: so die Macht des Kongresses für bindendes Recht und Gesetz; oder Entscheidungen von unabhängigen Gerichten. Damit habe er die Grenze überschritten vom „normativen Staat“ zum „Maßnahmenstaat“ (Fraenkels Begriff für den nationalsozialistischen Parallelstaat).
Aziz Huq erwähnt auch Versuche, Richter, Wissenschaftler und Universitätsleitungen einzuschüchtern. Vieles bleibe zwar für die Mehrheit der Bevölkerung, wie es war. Die „executive orders“ berührten ihr Leben nicht: „Most people can ignore the construction of the prerogative state simply because it does not touch their lives.“ Das aber sei die eigentliche Gefahr eines „Doppelstaates“, weil die „Maßnahmen“ Dissidenten und sonstige „Sündenböcke“ träfen. „But once the prerogative state is built, as Fraenkel’s writing and experience suggest, it can swallow anyone”: Der „Maßnahmenstaat”, wenn er sich etabliert hat, verschlingt politische Freiheit und Verfassungen mit den „checks and balances“.

Das lehrte Professor Ernst Fraenkel, der 1938 aus Deutschland geflohene und 1951 zurückgekehrte jüdische Anwalt, uns Studentinnen und Studenten im Wintersemester 1962/63 am Berliner Otto-Suhr-Institut. Die Geschichte seines Buches erzählte er damals nicht: das ursprüngliche, deutsche Manuskript schmuggelte ein französischer Diplomat in seinem Gepäck nach Paris. Fraenkel schrieb es neu und zu Ende auf Englisch im Exil an der Universität, an der heute Aziz Huq lehrt. Seine Erinnerung und sein Wiederlesen fallen beklemmend aus.

Korrumpiertes Regieren entzieht sich der Kontrolle

Bild: Peggy_Marco auf Pixabay

Innerhalb von nur zwei Märztagen titelten die Washington Post und die New York Times, dass (1) Präsident Trump die Schließung des Bildungsministeriums angeordnet hat, (2) die Regierung gegen Anwält:innen vorgeht, die sie verklagen, und (3) ein Gericht vorläufig die Abschiebung eines Forschers der Georgetown University gestoppt hat. Was haben diese Ereignisse gemeinsam? Sie sind Teil eines breitgefächerten Angriffs auf Institutionen des Wissens und des Rechts – ein Angriff, bei dem Wissens- und Pressefreiheit und die Rule of Law insgesamt keine Rolle mehr spielen [berichtet Vicki C. Jackson, Laurence H. Tribe Professorin für Verfassungsrecht an der Harvard Law School, auf dem Verfassungsblog unter CC BY-SA 4.0 Lizenz und schreibt im Einzelnen:].

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Auf der verzweifelten Suche nach Zufluchtsorten

Bild, KI generiert: deeznutz1 auf Pixabay

Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Hannah Arendt. Große Autoren, die jedem sofort einfallen, wenn an das Exil während der Nazi-Zeit erinnert wird. Ihre Schicksale aus jener Zeit sind bis aufs Kleinste ausgeleuchtet. Über Hunderttausende Andere, die fliehen mussten, ist dagegen nur wenig bekannt. Dabei wollte es Wolfgang Benz, renommierter Zeithistoriker und Antisemitismus-Forscher, in seinem Buch „Exil“ nicht belassen. Sein Blick gilt nicht allein den privilegierten Exilanten. Er hat die unendliche Dimension der Schicksale jener aufgezeichnet, die Nazi-Deutschland verlassen mussten, ohne zu wissen, wer sie aufnehmen würde, wie sie leben und ihren Unterhalt verdienen könnten.

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Görliwood und sein verlorener Sohn

Screenshot: Website LEMO, Lebendiges Museum Online

Görlitz, am östlichen Rand der Republik, ist eine besonders schöne, geschichtsträchtige, auch zukunftsorientiere Stadt – und AFD-Hochburg. Hier wurde Werner Finck geboren, der Großmeister des politischen Kabaretts. Einst berühmt, heute bei vielen vergessen. Das soll sich jetzt ändern.

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Hochkonjunktur für Bellizisten?

Der Sponti- Slogan „Raus aus der Nato, rein ins Vergnügen“ riecht in diesen aufgewühlten Zeiten einer mutmaßlichen Vorkriegszeit nach Mottenpulver. Während die oft totgesagte oder als 5. Kolonne Putins verächtlich gemachte Ostermarschbewegung ihre Friedensdemonstrationen für den April plant, wird Bundesverteidigungsminister Pistorius nicht müde wird, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen. Und der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, legt nach mit der Prophezeiung, „spätestens Ende dieses Jahrzehnts dürften russische Streitkräfte in der Lage sein, einen Angriff auf die Nato durchzuführen.“ Hochkonjunktur für Bellizisten?

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Politik für morgen mit Zahlen von gestern

Die Bildungsminister:innen haben es jetzt Schwarz auf Weiß: In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren. Der Rückgang – seit einem Höchststand vor vier Jahren mit 765 000 – ist dramatisch: Innerhalb von nur drei Jahren ist die Zahl der Geburten auf 674 000 (2024) gesunken. Aber die jüngste Konferenz der Bildungsminister beschäftigte sich mit der Unterstützung erkrankter Kinder und dem medienträchtigen Vorstoß aus Hessen zu einem angeblichen Handy-Verbot in den Schulen. Der folgenschwere Rückgang der Geburten, der die bisherigen Prognosen zum Kita-, Schul- und Lehrerbedarf einschneidend korrigiert, war dieser Konferenz keinen Kommentar wert. Auf ihrer Pressekonferenz in Berlin wurden die Ministerinnen Karin Prien (CDU), Simone Oldenburg (Linke) und Stefanie Hubig (SPD) auch nicht danach gefragt: Das Eltern, Schüler-und Lehrerschaft aufregende Thema „Handy-Verbot“ war wichtiger, obwohl es überhaupt nicht auf der Tagesordnung der Konferenz stand.

Um was geht es bei dem Rückgang der Geburten? Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm, der der Konferenz der Kultusminister (KMK), die es seit dem Herbst 2024 in drei Unterkonferenzen gibt (Bildung, Kultur, Wissenschaft), seit Jahrzehnten immer wieder vorrechnet, dass sie mit veralteten Zahlen Politik macht, hat sich wieder einmal die neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes angesehen und daraus Schlussfolgerungen für die Kitas und die Grundschulen gezogen. Für die Grundschulen gilt ab dem Schuljahr 2026/27 ein Rechtsanspruch auf eine ganztägige Bildungsförderung. Klemm weist in seiner Studie für das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) nach, dass die KMK für 2024 immer noch von 756 000 jährlichen Geburten ausgeht: Und weiter steigenden Zahlen. Ein Irrtum, wie Klemm ausführlich belegt. Er wagt auch einen genauen Blick auf die Bevölkerungsstatistik und in die Entwicklung der Bundesländer. Vor allem in den östlichen Bundesländern (so in Brandenburg) wird sich die Lage zuspitzen, wie angesichts sinkender Schülerzahlen „wohnortnahe Grundschulangebote“ überhaupt noch zu sichern sind. Sich dieser Herausforderung zu stellen, wäre jetzt die Aufgabe der Bildungsministerkonferenz. Bei ihr liegt die Verantwortung für „gleichwertige Lebensverhältnisse“ und „das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Bildung“ (Zitat aus der Gründungserklärung der BK vom 10. Oktober 2024). Vielleicht sollten sich die Ministerinnen und Minister einmal die Studie auf ihrem Handy herunterladen. Das wäre ein sinnvoller Gebrauch.

Lügen die Bilder, die Menschen oder beide

… ab 18. April in Amsterdam (Screenshot: Website World Press Photo)

Wir wechseln von der Angebotsseite der digitalen Kommunikation zurück auf die Nachfrageseite. Welche Folgen hat es für die Bürgerinnen und Bürger, wenn eine Kultur der Bilder die Kultur der Sprache und Schrift teilweise verdrängt? Zunächst ist festzuhalten: unser Bezug zur Welt ist technisch vermittelt. Wir leben in einer „Welt als Welt von Mitteln“ (Hegel), also auch in einer Welt von Bildern. Ein so vermittelter Realitätsbezug ist angewiesen auf seriöse Institutionen, wenn er nicht (be)trügerisch sein soll. Ich werde unterschiedliche Realitätsbezüge vorstellen: begründetes Misstrauen, Realitätsverlust und kontrollierten Weltbezug.

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Thesen im protestantischen Lutherton

„Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates schwindet, und damit schwindet auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.“ Mit diesem wuchtigen Satz gingen Peer Steinbrück, Thomas de Mazière, Andreas Voßkuhle und Julia Jäkel – genau eine Woche, bevor der Bundestag mit verfassungsändernder Mehrheit den Weg zu milliardenschweren, historisch hohen Krediten für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz frei gemacht hat – an die Öffentlichkeit und stellten 30 Thesen  „für einen handlungsfähigen Staat“ vor.

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Kanzler Merz – das Tor zur Vorhölle ist stets offen

Foto: Elke Wetzig auf wikimedia

Die avisierte kleine Großkoalition aus Union und SPD unterscheidet sich an einer dramatischen Stelle grundlegend von allen bisherigen bundesdeutschen Regierungskoalitionen: Bildet die SPD mit Merz eine solche Regierung, dann ist nicht nur sie, sondern der gesamte rechtsstaatlich orientierte Bundestag von diesem Moment an der Union, dem Kanzler Merz und dessen Richtlinienkompetenz ausgeliefert. Die rechtsstaatlich-demokratisch orientierten Fraktionen hätten keine Möglichkeit, diesen Kanzler legal zu stürzen oder mit einem Misstrauensvotum beispielsweise Neuwahlen zu erzwingen
– weil Union und AfD zusammen die Mehrheit haben im Bundestag.

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Mark Zuckerberg und die sogenannte Zensur

Bild: MickeyLIT auf Pixabay

Mark Zuckerberg, CEO von Facebook und Instagram, hat 2024 angekündigt, in seinen Medien Faktenprüfer durch Community Notes, also Notizen der Kunden, Nutzerinnen und Nutzer, zu ersetzen. Dann werden Partnerorganisationen von ihrer Aufgabe enthoben, streitbare Beiträge auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und sie gegebenenfalls als falsch zu melden. Zuckerberg hält dieses Verfahren der Faktenprüfung nicht für zuverlässig, er hat sogar bei den prüfenden Instanzen eine „politische Schlagseite“ ausgemacht. Angeblich waren seine Kundinnen und Kunden misstrauisch geworden. Was hat es damit auf sich?

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Demokratie, Zumutung und Versprechen

Foto: PantheraLeo1359531 auf wikimedia

Die Hölle, so wusste Jean-Paul Sartre, «das sind die Anderen». In eine besondere Spielart dieser Hölle versetzt uns die Demokratie, die uns als Staatsform nicht nur ein großes Versprechen politischer Freiheit gibt, sondern auch die Zumutung auferlegt, die «Anderen» mit all ihren abweichenden Meinungen, Bedürfnissen und Interessen tatsächlich zu ertragen und mit ihnen in friedlicher Ko-Existenz zu leben. Ja, Demokratie ist eine Zumutung. Sie ist anstrengend, langwierig, bisweilen schlicht ermüdend. Viel bequemer ist es, wenn ein vermeintlich starker Mann (seltener eine starke Frau…) durchregiert, wenn man sich nicht allzu viele Gedanken machen muss. Genau mit diesem Versprechen einer radikalen Reduktion von Komplexität locken die Feinde der Demokratie.

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Aufrüstung ohne Limit und jedem seine Atombombe ?

Bild: Arman_Parnak auf Pixabay

Wer Atomwaffen hat, kann andere Länder überfallen. Die Nato bombardierte  Belgrad, um die Kosovaren vor Milosevic zu schützen. Dass Putin nicht mit der gleichen Härte begegnet wird,  liegt einzig und allein daran, dass er über Atomwaffen verfügt und es sich daher verbietet, Moskau oder St. Petersburg zu bombardieren. Bei dem Angriff gegen Ukraine dienen die Atomwaffen nicht länger als bedrohliche, aber nichtsdestotrotz friedenssichernde Abschreckung, sondern als ‚Schutzschirm‘ für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Der Krieg wird zwar weiterhin konventionell geführt, aber wegen der russischen Atomwaffen liefern die Verbündeten nicht alle Waffen, die die Ukraine gerne hätte. Die atomare Abschreckung verhindert den Krieg zwischen Atommächten, den Überfall auf Länder ohne atomaren Schutz dagegen nicht.

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Lange Schatten über dem Wahlergebnis

Bild: Satya_1 auf Pixabay

Mir kommt´s so vor, als habe sich eine große, massige, auftürmende Wolke vor das Ergebnis der Bundestagswahl geschoben. Sonne zeitweise weg. Wetterleuchten. Aufkommender Wind. Man beginnt zu frösteln. Ob das Wetter umschlägt, aus der Wolke Gewitter auf uns hinunterschlagen werden oder ob anderes geschieht, ist nicht zu erkennen. Man schließt die Fenster, kurbelt die Jalousie zurück. Jedenfalls verschattet dieses Gebilde mit seinen Eventualitäten das Ergebnis der Bundestagswahl. Obgleich diese Wahl unser Gemeinwesen durchschüttelt.

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Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht

Bild: geralt auf Pixabay

Die Aufgaben einer möglichen neuen rot-schwarzen Koalition im Inneren (siehe Merz als ein wiederauferstandener Scholz) sind zwar sehr ambitioniert, fallen aber nicht grundsätzlich aus dem Rahmen dessen, was in der Bundesrepublik Deutschland im Lauf der Jahrzehnte passiert ist. Sicher, das dauerhafte Erstarken der AfD markiert eine Zäsur mit hohem Bedrohungspotential. Die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Schritte jedoch werden von einem Wandel gefordert, den man mit Fug und Recht epochal nennen kann.

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bruchstücke